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Das Wundermittel heisst Energiesparen – ein nationaler Schulterschluss, der keine Interessengegensätze mehr kennen will.

Gas-Pipeline (Molchschleuse) bei Albachten, Münster in Nordrhein-Westfalen.
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Gas-Pipeline (Molchschleuse) bei Albachten, Münster in Nordrhein-Westfalen. Foto: /Dietmar Rabbich (CC BY-SA 4.0 cropped)

3. Juli 2022
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Mit einer öffentlichen Erklärung zur Energiesparkampagne des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (Öffentliche Erklärung der Verbände zum Gipfel Energieeffizienz am 10. Juni 2022 anlässlich des Starts der Energiesparkampagne des BMWK) haben sich Politik, Industrie, Mittelstand, Betriebe und Unternehmen, Handwerk, Sozialpartner, Kommunen, Umweltverbände und Verbraucherorganisationen zu Wort gemeldet und so den nationalen Schulterschluss in der Energiefrage demonstriert.

Die Begründungen für diese Aktion fallen jedoch – gerade angesichts der bekannten Unterschiede bei den Interessengruppen – etwas seltsam aus. Dazu hier einige Hinweise.

„Energiesparen für mehr Unabhängigkeit und Klimaschutz“

„Mit dem russischen Angriff auf die Ukraine ist die hohe Energieabhängigkeit von Russland in den Fokus gerückt. Ersatz für notwendige Rohstoffe zu beschaffen, die unser Land politisch und energiepolitisch Schritt für Schritt unabhängiger von russischen Energieträgern machen, war in den vergangenen Monaten vordringliche Aufgabe und hat weiterhin Priorität. Klar ist: Es braucht den Abschied von fossilen Energien, um unabhängiger zu werden und die Klimaziele zu erreichen. Deshalb arbeiten wir in Deutschland gemeinsam daran, den Ausbau erneuerbaren Energie zu beschleunigen. Wir wollen zugleich Energie einsparen und effizienter nutzen. Dabei liegt noch ein herausforderndes Stück des Weges vor uns.“ (Erklärung)

Wenn die Autoren der Erklärung die Energieabhängigkeit beschwören, dann wissen sie, dass die Adressaten dieser Erklärung, die verehrten Bürger und Bürgerinnen, gleich ihre Abhängigkeit von den Energiekonzernen vor Augen haben. Otto Normalverbraucher ist allerdings in ganz anderer Art und Weise von der Lieferung der benötigten Energie abhängig als es die meisten Parteien sind, die diese Erklärung abgegeben haben. Während die Politik in der Abhängigkeit von Energielieferungen gleich eine Einschränkung ihrer Handlungsfreiheit sieht, weil der Handel mit Energieleistungen auch Rücksichtnahme auf die Interessen des Lieferlandes bedeutet, ist der besagte Stoff für die Wirtschaft ein Geschäftsmittel.

Und zwar ist er ein ganz spezielles Mittel, das die Voraussetzung für so gut wie jede Produktion im Lande bildet und an dem in erster Linie der Preis interessiert. Ein hoher Preis ist hier jedoch kein Hindernis, wenn er auf die Kundschaft abgewälzt werden kann. Für die Endverbraucher gibt es diese Möglichkeit nicht; ihre Abhängigkeit von Energielieferungen für Licht und Heizung ist gerade die Basis des Geschäfts der verschiedenen Energiefirmen, die diese Abhängigkeit leidlich auszunutzen wissen, wie die Preise für die betreffenden Produkte gerade zeigen.

Wenn aus der Abhängigkeit sofort eine politische Aufgabe deduziert wird, so betrifft diese den einfachen Bürger nicht, schliesslich ist er kein Akteur in dem ganzen Geschehen, sondern immer nur mit den negativen Folgen der einschlägigen Entscheidungen konfrontiert – nämlich in Form hoher Preise, die seinen Geldbeutel strapazieren.

Dabei wirft die Zielsetzung der Aktion ebenso Fragen auf. Ist doch die Herbeiführung einer Unabhängigkeit von russischer Energielieferung durch erneuerbare Energien ein anderes Ziel als die Verhinderung der Erderwärmung. Dass die beiden Zielsetzungen – anders als die Autoren der Erklärung weismachen wollen – nicht einfach zusammengehen, wird gerade an den praktizierten Massnahmen deutlich. Um unabhängiger von russischen Energielieferungen zu werden, ist ja der verstärkte Einsatz heimischer Braunkohle wieder ein akzeptiertes Mittel, obwohl er alles andere als einen Beitrag zum Klimaschutz leistet. Das fällt ja auch zunehmend den Teilen des Ökoprotests auf, die auf die Grünen im Amt grosse Hoffnungen gesetzt hatten.

Wichtig ist natürlich, dass sich die Effizienz der unterschiedlichen Energien auf recht unterschiedliche Weise bestimmen lässt. Es macht eben einen Unterschied, ob die Angelegenheit physikalisch betrachtet wird – sprich der sachliche Aufwand an Energie für die Herstellung bestimmter Produkte ins Auge gefasst wird – oder ob die Betrachtung ökonomischer Natur ist, die Kostenkalkulation also den Massstab bildet. Dann kann auch viel billige Energie durchaus lohnend sein.

So ist denn auch das Motto der Kampagne des grünen Wirtschaftsministers mit den Sorgenfalten auf der Stirn ziemlich verlogen: „Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz startet im Juni eine Energiespar-Kampagne, die unter dem Motto ‚80 Millionen gemeinsam für den Energiewechsel' steht – sie lädt ein, aktiv mitzuarbeiten und kreativ zu sein: Denn jede eingesparte Kilowattstunde Energie leistet einen Beitrag für unsere Unabhängigkeit, senkt den Kostendruck und hilft unsere Klimaziele zu erreichen.“ (Erklärung)

Die Gemeinsamkeit, die der Wirtschaftsminister mit seiner Kampagne beschwört, ist eine von oben verordnete. Was da als Einladung daherkommt, stellt sich für die meisten Menschen als reine Notwendigkeit dar. Schliesslich müssen sie sich einschränken, weil die Kosten für Energie, ob an der Tankstelle oder für Heizung und Strom, steigen. Auch wenn sie noch so kreativ sich einen Pullover überziehen oder vom Auto aufs Fahrrad umsteigen, bleiben sie doch abhängig von den Energiekonzernen und deren Preisgestaltung, zu der die Politik mit ihren Steuersenkungen für die Energiekonzerne diesen alle Freiheiten eingeräumt hat. Auch wird der Kostendruck nicht weniger, wenn man sich einschränkt, hilft die Einschränkung doch gerade, mit dem Kostendruck umzugehen, und schafft diesen nicht aus der Welt.

Damit die Bürger dennoch mitmachen und ihren Einschränkungen die richtige Deutung abgewinnen, melden sich die Unterstützer der Kampagne einzeln zu Wort.

Alle für den Erfolg der Nation

Als erste dürfen die Vertreter von Städten und Kommunen ihren Senf zur Aktion des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klima beitragen: „Wir als kommunale Akteure unterstützen die Energiespar-Kampagne. Jede eingesparte Kilowattstunde ist ein echter Beitrag zum Klimaschutz. Städten, Landkreisen und Gemeinden kommt eine Schlüsselrolle zu. Sie sind Vorbild und beraten Bürgerinnen und Bürger und die Wirtschaft… Die grossen Potenziale, etwa bei über 180.000 kommunalen Gebäuden, über 2 Millionen kommunalen Wohnungen, bei Strassenbeleuchtungen oder auch im Verkehr müssen gehoben werden.“ (Deutscher Städtetag, Deutscher Landkreistag, Deutscher Städte- und Gemeindebund) Zwar ist es ein offenes Geheimnis, dass die Aktion des Bundesministeriums in erster Linie auf das kurzfristige Einsparen von Energie zielt, um unabhängiger von Gas- und Öllieferungen aus Russland zu werden, dennoch wollen die kommunalen Akteure ihren Beitrag als einen zum Klimaschutz verstanden wissen. Wenn sie auf die Möglichkeiten zum Klimaschutz durch die Sanierung der oft verkommenen öffentlichen Gebäude und Wohnungen verweisen, haben sie keine Angst, sich zu blamieren – schliesslich würde die betreffende Sanierung Jahre dauern und einen Energieeinspareffekt erst in fernerer Zukunft bewirken. Hauptsache, man hat seinen guten nationalen Willen gezeigt.

Was faktisch bleibt, ist die Beratung der Bürger. Denen beim Umgang mit der teurer werdenden Energie und mit einem schrumpfenden Geldbeutel ermunternd zur Seite zu stehen, das sehen die kommunalen Vertreter offenbar als ihre vordringlichste Aufgabe und als ihren positiven Beitrag für die Bürgerschaft in Städten und Gemeinden an.

Direkt angesprochen fühlen sich auch die Handwerker – und das mit Recht: „Wir als Handwerker sind Umsetzer und zugleich Betroffene beim Einsparen von Energie. Wir bauen und installieren das, was in privaten Haushalten und im gewerblichen Bereich eine effiziente Energienutzung möglich macht… es liegt auch im ureigenen Interesse von Handwerksbetrieben, selbst möglichst energieeffizient zu arbeiten“. (Zentralverband des Deutschen Handwerks – ZDH) Die Kampagne des Bundeswirtschaftsministers stellt geradezu eine kostenlose Werbung für die Handwerksbetriebe dar, die mit der Installation von Heizungen und Solardächern ihr Geschäft betreiben. Und da Energieeinsatz Kosten verursacht, ist das Handwerk auch immer bedacht, ihn niedrig zu halten. So kann man sich leichten Herzens der Kampagne des Ministers anschliessen, zeigt sie doch wieder einmal: Handwerk hat goldenen Boden.

Doch nicht nur das Handwerk ist beteiligt, die sogenannten Sozialpartner treten sogar gemeinsam an: „Energieeffizienz ist ein wichtiger Lösungsansatz, um Klimaziele zu erreichen und mit einer wettbewerbsfähigen Wirtschaft und hochwertigen Arbeitsplätzen zu verbinden. Das gilt umso mehr in Zeiten rasant ansteigender Energiekosten. Wir als Sozialpartner werben daher dafür, weiter in Energieeffizienz zu investieren… Wichtig sind dafür qualifizierte Fachkräfte, finanzielle Anreize und langfristig gesicherte Rahmenbedingungen.“ (Deutscher Gewerkschaftsbund – DGB, Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände – BDA).

Zwar geht es in erster Linie um die Unabhängigkeit von russischen Energielieferungen, aber auch die Sozialpartner wollen das Energiesparen als Beitrag zum Klimaschutz deuten. Sie bringen das vorgeschobene Ziel jedoch gleich in Verbindung damit – und so gleich unter den Vorbehalt –, dass es im Zusammenhang mit einer wettbewerbsfähigen Wirtschaft und entsprechenden Arbeitsplätzen zu sehen sei. Was nichts anderes bedeutet, als dass Klimaschutz gut und schön ist, die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft aber in keiner Weise beeinträchtigen darf, sondern befördern soll.

Dass eine wettbewerbsfähige Wirtschaft gleichzusetzen ist mit hochwertigen Arbeitsplätzen, ist eine Mär, die Gewerkschafter gerne verbreiten. Sie werden dabei auch nicht an den Rationalisierungen der Betriebe irre, die Arbeitsplätze ständig überflüssig machen. Hochwertige Arbeitsplätze sind nach der marktwirtschaftlichen Logik eben solche, die sich für die Unternehmen lohnen – gezahlt in nationalen Betrieben, die möglichst auf dem Weltmarkt den Ton angeben. Dass dies immer auch niedrige Löhne bedeutet, haben die Gewerkschafter der IG Metall gerade wieder in der Stahltarifrunde unterstrichen, in der sie von vornherein auf einen Ausgleich für die Inflation verzichteten und so zur Lohnsenkungen zum Wohle der Stahlindustrie beitrugen (vgl. Die Leistung der deutschen Gewerkschaft in Kriegszeiten.

Schliesslich befindet sich die Stahlindustrie in der Umstellung auf die Direktreduktion durch den Einsatz von Wasserstoff, was zunächst Investitionskosten verlangt, aber für die Zukunft eine kostengünstigere Produktion – auch unter Einsparung von Lohnkosten – erbringen soll. Als Partner der Unternehmen wollen Gewerkschafter somit nichts mehr von einem Gegensatz von Kapital und Arbeit wissen, machen sich vielmehr zu Lobbyisten für die Unternehmen, indem sie zur Absicherung der Gewinne beim Einsatz von energieeffizienten Massnahmen finanzielle Anreize und rentierliche Rahmenbedingungen fordern. Für die Qualifizierung von Fachkräften, also die Sicherung der Nützlichkeit der Arbeitsmannschaft, sehen sich die Gewerkschaften dann selber zuständig und sind dafür auch in Tarifrunden stets zu Lohnverzicht bereit.

Unternehmen können nie genug Bedarf zur Förderung ihres Geschäfts durch die Politik anmelden und so treten sie gleich mehrfach in Erscheinung: „Wir als Industrie stehen für die Wirtschafts- und Innovationskraft Deutschlands. Wir wollen den immer effizienteren Einsatz von Energie als wichtiger Beitrag zu einer modernen, leistungsfähigeren Wirtschaft beschleunigen… Wegen des russischen Krieges in der Ukraine unterstützt die deutsche Industrie nun so rasch wie möglich den Gasverbrauch in der Stromerzeugung zu senken und Kohlekraftwerke schon jetzt aus der Reserve wieder in den Markt zu nehmen, um Gas für den Winter zu speichern.“ (Bundesverband der Deutschen Industrie – BDI)

Unternehmen haben es offenbar nicht nötig, wie andere Interessenvertreter zu heucheln. Sie verweisen schlicht auf ihre Bedeutung in diesem Staat, in dem alles vom Gelingen des Geschäftemachens abhängig gemacht ist. Ihren Erfolg in der Konkurrenz setzen sie daher gleich mit dem Erfolg Deutschlands. Dem hat auch der Einsatz von Energie zu dienen, daran bemisst sich deren Effizienz. Von daher braucht der BDI auch gar nicht gross den Klimaschutz zu bemühen, sondern kann klar zum Ausdruck bringen, dass es bei dieser Kampagne darum nicht geht. Wenn billige Energie gebraucht wird für die deutsche Wirtschaft, dann müssen halt die Braunkohleschlote wieder rauchen.

Die deutsche Wirtschaft besteht aber nicht nur aus der Industrie und so meldet sich auch der Handel zu Wort: „Um noch mehr Einsparungen anzuregen, setzen wir auf Energieeffizienz- und Klimaschutznetzwerke und wollen in den nächsten Jahren weitere 10.000 Energie-Scouts im Rahmen unseres Unternehmensnetzwerkes Klimaschutz ausbilden. Damit können wir den Mut und das Engagement dieser jungen Menschen nutzen, um bisher liegen gebliebene Einsparpotenziale in den Betrieben aufzuspüren und neue, innovative Wege zu gehen. Ganz nebenbei tragen die Jugendlichen das erworbene Knowhow auch in ihr privates Umfeld, und machen Erfolgsprojekte zu einem Baustein mit doppelter Rendite – für den Klimaschutz und für mehr Unabhängigkeit.“ (Deutscher Industrie-und Handelskammertag – DIHK)

Als Unternehmer sehen sich die Verbände angesichts der Kampagne gefordert, ihre Innovationskraft zu zeigen. Die besteht in der Ausbildung von jungen Leuten, die in den Betrieben Energieeinsparpotenziale ausfindig machen sollen, schliesslich ist Energie immer ein wichtiger Kostenfaktor und überflüssige Kosten gilt es zu vermeiden. Zudem lassen sich aus solchen Ideen vielleicht neue Geschäftsmöglichkeiten erschliessen – Erfolgsprojekte, die sich auch mit Unterstützung dieser jungen Menschen im privaten Bereich vermarkten lassen. So können diese Projekte nicht nur für die Unabhängigkeit Deutschland, alias Klimaschutz, sorgen, sondern auch für die Betriebe eine Rendite abwerfen.

Die Wirtschaftszweige, die vom Geschäft mit der Energie leben, dürfen in der Kampagne natürlich nicht fehlen und so reihen sich auch der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), die Deutsche Unternehmensinitiative Energieeffizienz (DENEFF) und der Verband Kommunaler Unternehmen (VKU) in die Liste der Propagandisten ein.

Es fehlen aber auch nicht die Umweltverbände: „ Wir als Umweltverbände sehen in der absoluten Reduktion des Energieverbrauchs den Schlüssel für ein nachhaltiges Wirtschaftsmodell. Der Angriffskrieg gegen die Ukraine hat unsere Abhängigkeit brutal vor Augen geführt und zwingt uns zum sofortigen Kurswechsel. Als Umweltverbände unterstützen wir alle Bemühungen der Bundesregierung, diesen Kurswechsel zu vollziehen. Nur wenn es uns gelingt, den Energiebedarf dauerhaft drastisch zu senken, können wir als Industrienation Vorbild sein für ein Wohlstandsmodell, das nicht auf Kosten anderer Weltregionen und der Natur wirtschaftet. Dafür braucht es die richtigen politischen Weichenstellungen und einen regulatorischen Rahmen, der Reduktion, Effizienz und Flexibilität belohnt und Ineffizienz und Verschwendung verhindert. Kurzfristig sind wir alle aufgerufen, durch individuelle Verhaltensänderungen den Energieverbrauch drastisch zu senken…“ (Deutscher Naturschutzring – DNR)

Es ist schon interessant, wie die Umweltverbände auf die Zielsetzung des Wirtschafts- und Klimaministers eingehen. Dass es sich bei der Kampagne um eine Massnahme im Wirtschaftskrieg mit Russland handelt, bleibt ihnen nicht verborgen. Offenbar sehen sie in dem Umgang der Politik mit der Reduzierung der Lieferungen aus Russland eine Chance zur Verwirklichung ihres Anliegens, eben des Klimaschutzes. Nur wollen sie nicht zur Kenntnis nehmen, dass es dem Minister nicht um eine absolute Reduktion von Energie geht, er will ja vielmehr sicherstellen, dass der Wirtschaft und den Verbrauchern immer in ausreichender Menge Energie zur Verfügung steht. Die Wirtschaft soll ja weiter wachsen und dazu braucht es auch Bürger, die sich nicht wegen mangelhafter Heizung erkälten und so unbrauchbar werden.

Auch die Behauptung, bei Deutschland handle es sich um ein Wohlstandsmodell, ist eine Schönfärberei sondergleichen. Sie will von der massenhaften Armut im Lande nichts wissen, schliesst sich vielmehr den gängigen Umdeutungen an, dass man es mit massenhaften Einzel- und Sonderfällen zu tun hat.

Dass am deutschen Wesen die Welt genesen soll, wird geteilt. Das weist die Vertreter der Umwelt als stramme Nationalisten aus. Ihr Aufruf zur individuellen Verhaltensänderung – wie das Gürtel-Enger-Schnallen in ihrem Jargon heisst – wird von den Regierenden sicher wohlwollend zur Kenntnis genommen; was aber nicht heisst, dass diese sich damit auch das Anliegen des Naturschutzes zu eigen machen.

Last but not least treten auch noch die Verbraucherschützer auf den Plan: „Wir als Verbraucherschützer helfen Verbraucherinnen und Verbrauchern mit der unabhängigen Energieberatung, Energie und Bares zu sparen und uns unabhängiger von fossiler Energie zu machen… Zur Wahrheit gehört aber auch, dass viele Menschen keinen oder kaum noch Spielraum für Einsparungen haben. Damit die steigenden Energiepreise sie nicht in existentielle Nöte bringen, muss die Politik sie gezielt unterstützen und entlasten.“ (Verbraucherzentrale Bundesverband – vzbv)

Die Tatsache, dass der Verbraucher des systematischen Schutzes bedarf, dementiert eigentlich schon eine weit verbreitete Lobhudelei, der zufolge der Kunde König ist und darüber entscheidet, was wie hergestellt wird – seien es nun Textilien, Lebensmittel oder sonstige Produkte, die es für den Lebensunterhalt braucht. Die Existenz der zahlreichen Verbraucherschutzinstanzen, angefangen von Ministerien bis hin zu einschlägigen Verbänden, zeigt das Gegenteil.

Es ist schon eine seltsame Aktion, die sich die Verbraucherschützer da leisten. Sie beteiligen sich an einem Aufruf an die Bürger, Energie zu sparen, wohl wissend, dass viele dies überhaupt nicht leisten können, weil sie mangels Geld schon an allen möglichen Ecken und Enden sparen müssen. Dann kann sich die Beratung in vielen Fällen offenbar nur darauf beschränken, Trost zu spenden. Es kommt zudem einer Beschönigung gleich, wenn davon die Rede ist, dass viele Menschen erst in Zukunft in existentielle Nöte geraten werden, haben doch diejenigen, von denen die Verbraucherschützer Hilfe erwarten, mit der Festlegung von Grundsicherungs-, Arbeitslosengeld II-Sätzen und ähnlichen Sozialleistungen dafür gesorgt, dass sich viele Menschen beständig in existentiellen Nöten befinden.

Die Adressaten: solidarisch vereinnahmt

Mit der Kampagne der Bundesregierung und den Unterstützungserklärungen der Verbände wendet sich die Bundesregierung an die 80 Millionen Bürger im Lande. Für viele von ihnen haben bereits die Interessenverbände ohne ihr Wissen ihre Solidarität bekundet. Aber alle anderen werden mit der Kampagne vor die Frage gestellt, ob sie sich diesem breiten Bündnis anschliessen oder abseits stehen wollen. Dabei stellt sich die Frage des Energiesparens für die 80 Millionen in ganz unterschiedlicher Art und Weise – je nach Grösse ihres Geldbeutels. Viele werden sich – ganz gleich, was sie von der Kampagne halten – dem Einspargedanken nicht verschliessen können. Und das nicht, weil sie der Aufruf überzeugt hätte. Schliesslich müssen sie sehen, wie sie angesichts der allgemein steigenden Preise nicht nur bei Energie mit ihrem begrenzten Geldbeutel zu Recht kommen. Da braucht es keine Vorschriften durch die Politik, sondern es bleibt ganz ihrer freien Entscheidung überlassen, wo sie auf Dinge verzichten und was sie sich noch leisten wollen und auch können.

Der Verzicht auf Urlaub oder die Fahrt mit dem Auto lässt sich natürlich auch in Kilowattstunden umrechnen und in die Vorstellung übersetzen, der eigene Verzicht würde einem höheren Zwecke dienen. Und traditioneller Weise steht – seit mittlerweile 150 Jahren – eine politische Kraft, nämlich die deutsche Sozialdemokratie den „kleinen Leute“ zur Seite, um ihnen den Respekt der Staatsgewalt für die nimmermüde (und immer wieder aufs Neue geforderte) Verzichtshaltung zu erweisen.

Das Ganze kann auch ein grüner Minister, dessen Ansehen, wie man aus den Meinungsumfragen erfährt, dank des moralischen Rigorismus grüner Kriegstreiberei stark gestiegen ist. Wie die Nachdenkseiten vermerkten hat man hier im Grunde einen „grünen Sarrazin“ vor sich. Der damalige Berliner Finanzsenator Sarrazin hatte ja finanzschwachen Bürgern anlässlich steigender Energiepreise empfohlen, doch einfach die Heizung runterzudrehen und sich einen dicken Pullover anzuziehen, was damals einen Aufschrei in der sozial denkenden Öffentlichkeit verursachte: „Heute wäre Sarrazin voll im Trend, denn wenn es gegen Russland geht, scheint es in der politischen Debatte keine Tabus mehr zu geben.“ (Jens Berger, NDS)

Auf die Freiwilligkeit des Publikums verlässt sich die Politik natürlich nicht. Laut letzten Meldungen prüft die Bundesnetzagentur bereits, ob Vermieter zur Absenkung der Mindesttemperatur in Wohngebäuden verpflichtet werden könnten. Worauf der Deutsche Mieterbund den interessanten Protest einlegte, dass sei grundfalsch, da die Mieter schon allein deshalb auf ihre Energiebilanz achteten, weil sie ihre Energiekosten kaum noch zu schultern vermöchten.

Was auch immer die neue Energiespar-Kampagne bewirkt, sie ist in jedem Fall ein Beitrag zur nationalen Bewusstseinsbildung, also dazu, dass sich die Bürger weiterhin alle Zumutungen gefallen lassen, die für sie aus den Massnahmen der Regierung zur Befeuerung von Krieg und Wirtschaftskrieg gegen Russland resultieren. Wie der Steckrübenwinter im Ersten Weltkrieg und das Winterhilfswerk im Zweiten sind das eben die Momente, wo die Nation zur Hochform aufläuft und das Zusammengehörigkeitsgefühl der Volksgemeinschaft für jeden hautnah erlebbar wird.

Suitbert Cechura